Welche Herausforderungen nehmen Team-Mitglieder und Coaches bei der Kollaboration in „Design Thinking-Teams“ wahr und wie lassen sich diese Herausforderungen im Kontext von Informationssystemen (IS) adressieren? Diesen Fragen gingen die Mitarbeiter des Lehrstuhls für Informationsmanagement der Universität Göttingen unter Leitung von Prof. Kolbe in einer Studie nach.
Ausgangslage
Die zunehmende Wettbewerbsintensität führt zu einem immer stärkeren Bedarf an Team-Kollaborationen, da innovative Entwicklungen heutzutage nicht mehr von einzelnen Mitarbeitenden alleine geleistet werden können. Dieser Wandel hin zu stärkerer Teamarbeit ist ein wesentliches Merkmal der Wissensgesellschaft und der exponentiell zunehmenden Wissensbasis. Bei der Arbeit in Teams, insbesondere bei der Kollaboration in einem neuartigen und komplexen Kontext, entstehen mannigfaltige Herausforderungen, welche bisher nur wenig untersucht worden sind. Unternehmen sind darauf angewiesen, bestmöglich zu verstehen, wie erfolgreiche Kollaboration in Teams gefördert werden kann. Denn nur in Teams, die effektiv, effizient und nachhaltig zusammenarbeiten, können Freiräume für neue Erfindungen und Innovationen entstehen.
Um Teamprozesse in Innovations-Teams besser zu verstehen, wurde als Forschungsgegenstand ein hoch-innovativer Kontext gesucht, in welchem der Prozess der Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams beobachtbar ist: den „Design Thinking-Teams“. Während herkömmliche Innovationsprozesse an der Schnittstelle von technischer Realisierbarkeit (feasibility) und wirtschaftlicher Tragfähigkeit (viability) angesetzt haben, wurde im Design Thinking (DT) die dritte Dimension der Bedürfnisorientiertheit (desirability) eingeführt. DT verändert die Blickweise, indem zunächst eine starke Fokussierung auf das grundsätzliche Verständnis der Bedürfnisse von Individuen gesetzt wird. Entsprechend orientieren sich auch die ersten drei Schritte des DT-Prozesses (Abb. 1) sehr stark an den individuellen und kollektiven Nutzerbedürfnissen. DT wurde an der Design School der Universität Stanford, USA, entwickelt.
Am Beispiel der d.school, einer europaweit führenden Ausbildungsstätte für Design Thinking, wird in dieser Studie untersucht, welche Herausforderungen in der Teamarbeit entstehen können. Basierend auf qualitativen Tiefeninterviews wurden verschiedene Teammitglieder, Coaches und Leitende der d.school nach ihren Erfahrungen bezüglich der Teamarbeit befragt. Mittels der Critical-Incident-Technik konnten umfangreiche Einblicke gewonnen werden, welche Situationen in der Team-Kollaboration von den Beteiligten als besonders herausfordernd wahrgenommen wurden.
Ergebnisse
Abb. 2: Design-Thinking Teamarbeit
(Quelle: HPI School of Design Thinking)
Grundlegend für das Verständnis von Kollaboration im Team sind einerseits die rationalen (harten) Teamfaktoren wie die zur Verfügung stehenden Ressourcen (bspw. Zeit, Geld, Mitarbeiter), aber andererseits auch die emotionalen (weichen) Team-faktoren (bspw. die Beziehungen zwischen Team-Mitgliedern, das gegenseitige Vertrauen, die Möglichkeiten der Selbstver-wirklichung). Im Ergebnis stellen sich insbesondere die emotionalen (weichen) Teamfaktoren als erfolgs-entscheidend heraus. Diese werden bis dato jedoch nur wenig von Informationssystemen (IS) adressiert, die die Team-Kollaboration unterstützten und erleichtern sollen.
Abb. 3: Herausforderungen bei der Zusammenarbeit
(Quelle: Tim-Benjamin Lembcke)
Die größten Herausforderungen von DT-Teams an der d.school können in zwei Dimensionen gruppiert werden: Zum einen in die Herausforderungen bei der Zusammenarbeit (Abb. 3) und zum anderen in die Herausforderungen im Umgang mit Wissen und Kompetenzen (Abb. 4). Herausforderungen bezüglich der Arbeitsweise ergeben sich daraus, wie mit unterschiedlichen Arbeits-werten und Normen umgegangen wird. Hier stellen insbesondere die zeitliche Verfügbarkeit von Teammitgliedern sowie deren man-gelnde Verlässlichkeit zwei große Herausforderungen dar, die die Zusammenarbeit erschweren. Die Zusammenarbeit im Team wird durch unterschiedliche kulturelle und persönliche Prägungen beeinflusst, sodass beispielsweise das Vorhandensein von (mehreren) dominierenden Alpha-Persönlichkeiten als Hindernis in kreativen Prozessen wahrgenommen wird. Bezüglich der eigenen Vorstellungen werden unterschiedliche Zielvorstellungen der Teammitglieder als eine große Herausforderung wahrgenommen. Ebenfalls wird eine mangelnde Bereitschaft zur Reflexion des eigenen Verhaltens kritisiert, infolgedessen Teammitglieder ihr Verhalten nicht zu überdenken bereit sind.
Zwischen den Teammitgliedern sollte idealerweise ein ständiger Austausch von unterschiedlichen Meinungen sowie Wissen stattfinden. Ebenfalls sollten die Teammitglieder ihre unter-schiedlichen Kompetenzen ein-bringen können. Bezogen auf unterschiedliche Erfahrungs- und Kenntnisstände zwischen Teammitgliedern, wurde insbesondere das Besserwissen als Herausforderung beschrieben. Dies führt häufig zu Teamkonflikten, wenn sich ein Mitglied mit einem (vermeintlich) umfangreicheren Wissen durchzusetzen versucht. Gleichzeitig existieren Schwierigkeiten dabei, die Talente und Expertisen einzelner Teammitglieder frühzeitig zu erkennen und in den DT-Prozess einzubringen. Ein ebenfalls relevanter Aspekt ist, dass Teammitglieder es generell als herausfordernd ansehen, außerhalb ihres eigenen Erfahrungshorizontes zu denken. Dies bedeutet, dass selbst bei einem geeigneten Rückgriff auf das Wissen aller Teammitglieder das Risiko hoch ist, dass „neue“ Lösungsansätze nur innerhalb dieses Erfahrungshorizontes entstehen.
Empfehlungen
Bezogen auf Kollaborationen im IS-Kontext lässt sich argumentieren, dass Projektleitende stärker auf die emotionalen Faktoren in Innovations-Teams achten sollten. Eine stärkere Sensibilisierung und gegebenenfalls entsprechende Schulungen sollten den Verantwortlichen helfen, Themen wie Vertrauen, Zuverlässigkeit, Teamverständnis sowie eine offene und effektive Weitergabe von Wissen innerhalb der Teams zu adressieren.
Im Rahmen der Entwicklung eines IS zum Austausch von Wissen sollte nicht nur der „technische“ Austausch im Vordergrund stehen (bspw. in Form einer Kollaborationsplattform mit Chat-Möglichkeit), sondern auch die Herausforderungen beim Einsatz in einem Team. Hier stellen sich Fragen wie die Adressierung von fehlender Motivation oder Zuverlässigkeit: Wird die Plattform regelmäßig genutzt werden? Sind die Teammitglieder bereit, sinnvoll zu der Plattform beizutragen? Nimmt die Plattform den Teammitgliedern gefühlt und tatsächlich mehr Arbeit ab als die Nutzung und Pflege dieser verursacht? Ansätze wie Gamification oder Nudging Impulse aus der verhaltensökonomischen Forschung könnten helfen, um eine dauerhafte Nutzung anzuregen. Entgegen der Auffassung, dass Anpassungen stets mit einem großen finanziellen Aufwand einhergehen, zeigen die Ergebnisse der Befragung, dass die Mehrzahl der Herausforderungen nicht finanzieller Natur sind, sondern durch strukturelle Anpassungen, bessere Absprachen und ein höheres Engagement der einzelnen Teammitglieder adressiert werden können.
Referenzverzeichnis
(1) Lembcke, Tim-Benjamin; Dr. Brendel, Alfred Benedikt, Prof. Dr. Kolbe, Lutz M. (2018). Studie „Make Design Thinking Teams Work: Einblicke in die Herausforderungen von innovativen Team-Kollaborationen“, Universität Göttingen
(2) Lembcke, Tim-Benjamin (2016) Master-Thesis „Towards an understanding of success dimensions in Design Thinking education“, University of Twente Enschede
(3) Vorlesung “Design Science und Design Thinking” http://www.uni-goettingen.de/de/design+science+und+design+thinking+-+b.sc./594262.html
Projektdetails
Dieser Blick in die Forschung basiert auf der Studie „Make Design Thinking Teams Work: Einblicke in die Herausforderungen von innovativen Team-Kollaborationen“ des Lehrstuhls für Informationsmanagement der Universität Göttingen unter Leitung von Prof. Kolbe. Der Lehrstuhl bietet Bachelor-Studierenden der Fachbereiche (Wirtschafts-) Informatik, Wirtschaftswissenschaften und Mathematik pro Semester eine Vorlesung zum Thema „Design Science und Design Thinking“, in der die Studierenden in praktischen Übungen Lösungen mittels Design Thinking erarbeiten.