Wissenschaftler der Fakultät Naturwissenschaften und Technik der HAWK in Göttingen arbeiten an neuen Möglichkeiten, Längen, Flächen und Volumen möglichst schnell und effizient zu erfassen. In einer ersten Veröffentlichung gewähren sie Einblick in Hintergründe, Methodik und erste Ergebnisse.

Hintergrund

Symbolbild der bereits veröffentlichten FOVEA-App (erhältlich für Apple und Android; Quelle: www.fovea.eu)

Die dreidimensionale Rekonstruktion einzelner Objekte anhand mehrerer Fotografien stellt in der Wissenschaft kein gänzlich neues Thema dar. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde bereits eine Vielzahl an unterschiedlichen Verfahren entwickelt [2].

In langjähriger Kooperation mit der FOVEA GmbH (Ausgründung der HAWK) aus Uslar konnte auch an der HAWK bereits ein fotooptisches Messverfahren kreiert werden, das sehr hohe Messgenauigkeiten gewährleistet [3]. Verbesserungspotenziale konnten jedoch hinsichtlich der Robustheit des Systems identifiziert werden. Um diese bestmöglich ausschöpfen zu können, wurde das Projekt KmM 4.0 ins Leben gerufen. Die erfolgreiche Kooperation mit der FOVEA GmbH besteht weiterhin fort. Anvisiert werden Verbesserungen bzw. Erweiterungen der aktuellen Methode, sowie gegebenenfalls gänzlich neue Methoden.

Methodik

Teil des Forschungsprojektes war der Eignungstest des 2016 entwickelten ORB-SLAM2-Verfahrens [4] in Kombination mit einer handelsüblichen Stereokamera hinsichtlich Messgenauigkeit und Handhabung. Das Verfahren ermöglicht die Berechnung der Kameratrajektorie und darauf aufbauend die dreidimensionale Rekonstruktion der erfassten Szene bzw. des erfassten Gegenstandes. Zu diesem Zweck benötigt das Programm die Parameter der genutzten Kamera. Im Fall der hier verwendeten Stereokamera lassen sich werksseitig vorrektifizierte und verzeichnungsfreie Stereobildpaare für die vier zur Verfügung stehenden Bildauflösungen VGA, HD, Full HD und 2K verwenden, wodurch darüber hinaus lediglich die intrinsischen Kameraparameter benötigt werden.

Die nach der Ausführung des Programms zur Verfügung stehende Punktwolke wurde zunächst vermessen (MeshLab) und anschließend ausgewertet (MAT-LAB, Excel). Um diese Untersuchungen möglichst einfach zu gestalten wurde in den Tests eine mobile Tafel als großes, geometrisch eher einfaches Objekt genutzt.

Während der anfangs durchgeführten Probeläufe erwiesen sich die Messergebnisse in den Auflösungen Full HD und 2K als instabil, sodass alle weiteren Tests in den Auflösungen VGA und HD durchgeführt wurden. Die Messdurchführung erfolgte in Form einer kreis- bzw. ellipsenförmigen Bewegung der Kamera parallel zur zu messenden Oberfläche (Loop-Closing). Verglichen wird diese Messmethode mit der geradlinigen Bewegung der Kamera von einer Seite des Messobjekts zur anderen.

Schematische Darstellung des Forschungsvorhabens: Das Messobjekt wird mit der Kamera aufgenommen. Anschließend erfolgt die Vermessung der Punktwolke, um die Maße des Messobjekts zu ermitteln.

Zusätzliche Variationen wurden hinsichtlich der verwendeten Kameraparameter vorgenommen. Insgesamt drei verschiedene Parameter-Sets wurden getestet: die Kalibrierung ab Werk, die Kalibrierung mit einem mitgelieferten Calibration-Tool und schlussendlich eine ROS-Kalibrierung, welche auf der mit OpenCV basiert. Alles in allem wurden also Messungen in drei verschiedenen Einstellungen, in zwei Auflösungen und mit zwei verschiedenen Messmethoden durchgeführt und sowohl miteinander als auch mit den „wahren“ (per Maßband gemessenen) Werten verglichen.

Ergebnisse & Ausblick

Hinsichtlich der Messmethoden wurde schnell deutlich, dass die oben beschriebene Methode des Loop-Closing dichtere Punktwolken liefert. Bei Verwendung der werkseitigen Voreinstellungen ergaben sich recht hohe Abweichungen: alle Werte lagen etwa 2-4 % unter den wahren. Die vergleichsweise wenig aufwändige Anpassung mit Hilfe des im Lieferumfang der Kamera enthaltenen Calibration-Tools bescherte ─ ohne nennenswerte Unterschiede hinsichtlich Auflösung oder Messmethode ─ Verbesserungen der Messergebnisse um 1-2 %. Wiederum verbessert werden konnten die Ergebnisse mittels einer etwas aufwändigeren ROS-Modifikation der Kalibrierung. Hier konnten im Mittel Abweichungen von unter 0,5 % erzielt werden. Über diese Modifikationen hinaus wurden weitere Kameraparameter mit Hilfe des Bündelausgleichungsprogramms Ax.Ori ermittelt und die Ergebnisse mit denen aus der ROS-Kalibrierung verglichen. Der Vergleich zeigt, dass die Nutzung der auf diese Weise ermittelten Werte eine abermalige Verbesserung der Ergebnisse liefert.

Insgesamt wird zunächst deutlich, dass die Kalibrierungsparameter der verwendeten Kamera einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die erzielten Messergebnisse haben und verschiedene Möglichkeiten bezüglich der Optimierung bestehen. Die erfolgten Messungen zeigen, dass eine zunehmende Komplexität der verwendeten Kameraparameter tendenziell zu einer Verbesserung der Messergebnisse führt.

Generell lassen sich mit der getesteten Methode bereits sehr hohe Genauigkeiten erzielen. Nutzerinnen und Nutzer müssen jedoch abwägen, welche Gesichtspunkte ihnen bei der Durchführung besonders wichtig sind: eine schnelle Durchführung, eine hohe Stabilität und/oder eine hohe Bildauflösung. Es erscheint naheliegend die Wahl in den meisten Fällen zu Ungunsten der hohen Bildauflösung zu treffen, die ─ obwohl nicht zwingend notwendig ─ eine stark erhöhte Rechenleistung bedingt.

Im weiteren Verlauf des Forschungsprojektes soll die vorgestellte Methodik auch an deutlich größeren Objekten getestet werden (>15m). Darüber hinaus sollen erste Ansätze zur automatischen Berechnung von Längen, Flächen und Volumen entwickelt und die Anwendung von Smartphones und Tablets erprobt werden.

Referenzverzeichnis

[1] FISCHER, A, RAUCHHAUS, T. & STOCK, B. (2018): Implementation und Untersuchung eines kameraunabhängigen 3D-Rekonstruktionsverfahrens mit ORB-SLAM2. „Photogrammetrie, La-serscanning, Optische 3D-Messtechnik ─ Beiträge der Oldenburger 3D-Tage 2018“, Luhman/Müller (Hrsg.), Wichmann Verlag.[2] SZELISIKI, R. (2010): Computer vision: algorithms and apllications. Springer Science & Business Media, Electronic Draft.[3] HERBON, C. (2015): Photogrammetric surveying of wood piles on handheld devices. Disser-tation, Otto-von-Guericke-Universität, Magdeburg.[4] MUR-ARTAL, R. & TARDÓS, J.D. (2016): ORB-SLAM2: an open-source SLAM system for mo-nocular, stereo and RGB-D cameras. arXiv preprint arXiv: 160.06475.

Projektdetails

Dieser Blick in die Forschung basiert auf der wissenschaftlichen Publikation [1], die im Rahmen des Forschungsprojektes „Konformitätsbewertete mobile Messgeräte 4.0“ (KmM 4.0) angefertigt wurde. Das Projekt wird aus Mitteln des europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Land Niedersachsen gefördert und in enger Kooperation mit der FOVEA GmbH durchgeführt.

Ihr Kontakt

Artur FischerHAWK
Naturwissenschaften und Technik
05513705159