Krankenhäuser und Flughäfen zeichnen sich durch vielfältige Prüfroutinen und Sicherheits-Checks aus. Wie wirkt sich da die Digitalisierung auf die Arbeitsprozesse und auf die Mitarbeitenden aus? Das hat eine Forschungsgruppe der Universität Göttingen untersucht. Vorläufiges Ergebnis: Neue digitale Instrumente werden weniger als Kontrolle wahrgenommen, sondern häufig als Unterstützung. Allerdings werden vorhandene Systeme zur Absicherung häufig weiterbetrieben. Das ist bei Digitalisierungsprozessen zu berücksichtigen.
Die Wahrnehmung neuer Technik durch Mitarbeitende
Krankenhäuser und Flughäfen zählen zu den Hochzuverlässigkeitsorganisationen. Diese Gruppe umfasst die Bereiche Gesundheit, Sicherheit und Militär sowie Infrastrukturen wie etwa Kraftwerke. Im Extremfall entscheiden diese Organisationen über Menschenleben und haben vielfältige professionelle Routinen und Organisationsformen mit besonderen Sicherheitsvorkehrungen geschaffen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in derartigen Bereichen ist eine wesentliche Anforderung, wachsam zu bleiben, um Unfälle zu vermeiden. Dazu zählt beispielsweise eine fortwährende kritische Haltung, mit der sie als sicher angenommene Wahrheiten oder Aussagen hinterfragen. Unter diesen Voraussetzungen sind Digitalisierungsprozesse und Maßnahmen zur Effizienzsteigerung eine besondere Herausforderung für Mitarbeitende und ihre Arbeitsstrukturen.
Kontrolle versus Autonomie
Ein Forschungsteam der Universitäten Göttingen und Hohenheim untersucht Digitalisierungsprozesse in Hochzuverlässigkeitsorganisationen an zwei Beispielen. Das Projekt ANDROMEDA wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. „In Krankenhäusern und Flughäfen sind viele Prozesse durch zusätzliche Prüfroutinen und Checks angereichert. Dies betrifft den OP-Saal genauso wie die Passagier- und Sicherheitskontrolle“, führt Projektleiter Prof. Dr. Matthias Klumpp aus. „Nun kommt noch die Digitalisierung hinzu.“ Der vermehrte Einsatz neuer digitaler Technik wirft für die Mitarbeitenden wichtige Fragen der Akzeptanz auf: Wie nehmen sie Autonomie und Kontrolle wahr? Hierzu liegen erste Forschungserkenntnisse vor.
Digitale Instrumente können Sicherheit steigern
Das Projektteam stellte beispielsweise Unterschiede in der Wahrnehmung bei Mitarbeitenden in Hochzuverlässigkeitsorganisationen zu weniger sicherheitsrelevanten Einrichtungen fest. Da Sicherheit und der Schutz von Menschenleben beziehungsweise die Unfallvermeidung einen sehr hohen Stellenwert genießt, „werden im Gegensatz zu anderen Organisationen neue digitale Instrumente und Prüfroutinen deutlich weniger als Kontrolle wahrgenommen, sondern häufig als Unterstützung bei der Zielsetzung der Steigerung von Sicherheit“, erläutert Matthias Klumpp. Dieser Prozess wird als „Sensemaking“ (Sinnstiftung) bezeichnet, wenn also Menschen neuen Technologien oder Prozessen eine bestimmte Bedeutung, Funktion oder Aufgabe zuschreiben können und diese positiv bewerten.
Parallelbetrieb von digitalen und analogen Systemen
Demzufolge ist die Akzeptanz für die Einführung und Nutzung digitaler Systeme in Hochzuverlässigkeitsorganisationen grundsätzlich höher. „Allerdings haben diese Organisationen mit einem anderen Problem zu tun, was die Durchdringung mit digitalen Anwendungen erschwert: Dabei handelt es sich um den Parallelbetrieb von digitalen und analogen Systemen aus Sicherheitsgründen“, gibt der Wissenschaftler zu bedenken. Häufig werden diese als redundante Systeme zur Absicherung auch über Jahre weiterbetrieben. „Personen und Organisationen tun sich verständlicherweise sehr schwer damit, etablierte Systeme zugunsten neuer Anwendungen einfach ‚abzuschalten‘“, weiß Matthias Klumpp aus vielen Studien.
Mitarbeitende in den Prozess einbeziehen
Aus diesen Gründen ist es in den Hochzuverlässigkeitsorganisationen häufig sehr schwer, die Effizienz der Arbeit und den Einsatz von Ressourcen zu verbessern, was aber durch das übergeordnete Ziel der Sicherheit in Abläufen und Ergebnissen verständlich erscheint. „Dennoch lässt sich aus diesen beiden Beispielen sehr gut ableiten“, schlussfolgert Matthias Klumpp, „dass Digitalisierungsprojekte in Hochzuverlässigkeitsorganisationen anders als in anderen Organisationen gestaltet und die Mitarbeitenden in den Prozess einbezogen werden müssen.“
Projektdetails
Das Ziel des Projektes ANDROMEDA ist die Analyse der Wahrnehmung von Autonomie und Kontrolle von Mitarbeitenden in digitalen Arbeitskontexten von Hochzuverlässigkeitsorganisationen. Diese Wahrnehmung ist wesentlich für das Arbeitshandeln in Organisationen. Die hier fokussierten Bereiche sind Krankenhäuser und Flughäfen. Der Projektleiter des Projektes ANDROMEDA, Prof. Dr. Matthias Klumpp, hatte seit dem Wintersemester 2018/2019 die Lehrvertretung im Bereich Produktion und Logistik an der Universität Göttingen übernommen. Inzwischen hat er die Universität Göttingen verlassen.