Bis dato unbekannte biologische Mechanismen, die zur Adhäsion von Mikroalgen auf unterschiedlichen Oberflächen führen, konnten im Rahmen einer Dissertation am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation aufgeklärt werden.

Ausgangslage

Mikroalgen sind die wichtigsten Produzenten von Biomasse auf der Erde. Sie haben eine große Bedeutung, zum Beispiel für die nachhaltige Herstellung von Biotreibstoff und für die Ernährung. Andererseits bilden sie in wässriger Umgebung auf verschiedensten Oberflächen Kolonien in Form von Biofilmen (siehe Abb. 1). Auf technischen Strukturen können diese zu einem unerwünschten, deren Funktion einschränkenden biologischen Bewuchs führen, dem sogenannten Biofouling. In den Bioreaktoren, die zur Treibstoff-herstellung genutzt werden, führt dieser Effekt beispielsweise dazu, dass die verwendeten Glasröhren mit der Zeit von einem grünen Belag überzogen werden, sodass weniger Licht in die Anlage eindringt. Durch diesen Biofilm nimmt die Photosyntheseleistung der übrigen Algen im Inneren der Anlage ab. In der Folge ist der Bioreaktor weniger produktiv.

Abb. 1: Biofilmbildung von Mikroalgen (Quelle: C.T. Kreis 2020)

Bekannt ist, dass sich Algen mit kleinen Härchen, den Flagellen, an Oberflächen festhalten. Die Wissenschaftler am Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation befassen sich schon seit mehreren Jahren mit den Hafteigenschaften dieser Flagellen.

Neue Erkenntnisse

Das Forscherteam hat eine Entdeckung gemacht, welche die Effizienz von Bioreaktoren künftig steigern könnte. Bei Experimenten an Grünalgen (Chlamydomonas reinhardtii, siehe Abb. 2) wurde festgestellt, dass die Flagellen der Algen nur unter bestimmten Lichtbedingungen klebrig sind und an Oberflächen haften können. Darüber hinaus konnten die extrem kleinen mechanischen Kräfte, mit denen die Mikroalgen an den verschiedenen Oberflächen haften und Biofilme bilden, in-vivo quantitativ bestimmt werden. Die Kräfte wurden mit einem präzisen Sensor gemessen: einer hauchdünnen Mikroglaspipette, an der eine einzelne Grünalgenzelle festgesaugt werden kann.

Abb. 2: Grünalgenzelle Chlamydomonas reinhardtii mit 2 Flagellen (Quelle: C.T. Kreis 2020)

Die Forscher haben festgestellt, dass die Algen immer nur in weißem Licht eine deutliche Haftkraft zeigen. In rotem Licht hingegen halten sich die Zellen an den Oberflächen gar nicht fest (siehe Abb. 3).

Abb. 3: Adhäsion von Grünalgenzellen bei unterschiedlichem Licht (Quelle: C.T. Kreis 2020)

Zwar ist seit langem bekannt, dass sich viele Mikroorganismen am Licht orientieren und beispielsweise in Richtung einer Lichtquelle schwimmen. Dass sich aber der Haftmechanismus der Grünalgen durch Licht quasi an- und ausschalten lässt, war bislang völlig unbekannt. Im Rahmen der Dissertation „Microalgal Adhesion to Model Substrates“ wurde die Lichtreaktion genauer untersucht und festgestellt, dass Chlamydomonas bei Bestrahlung mit blauen Lichtanteilen an der Oberfläche klebt (Abb. 4). Dieses Licht nimmt die Alge mit speziellen lichtempfindlichen Proteinen wahr. Bei rotem Licht bzw. bei Dunkelheit schwimmen die Algen hingegen mittels einer Art Brustschwimmbewegung durch das Wasser.

Abb. 4: Einfluss der Wellenlänge des Lichts auf die Adhäsionskraft (Quelle: C.T. Kreis 2020)

Was die Bioreaktoren betrifft, liefert diese Erkenntnis allein noch keine Lösung, um zu verhindern, dass sich Algenbeläge an den Glaswänden bilden. Daher kooperiert das Forscherteam nun mit Mikrobiologen, die seit langer Zeit mit Grünalgen arbeiten. Gemeinsam wollen sie Zellen untersuchen, bei denen die verschiedenen Blaulichtrezeptoren blockiert sind, um herauszufinden, welche der Rezeptoren die Klebrigkeit der Algen tatsächlich auslöst. Gelänge es, Algen mit veränderten Blaulichtrezeptoren zu züchten, dann könnten diese möglicherweise künftig in Bioreaktoren eingesetzt werden, ohne dass sich lästige Biofilme an den Oberflächen bilden.

Ausblick und weitere Anwendungsmöglichkeiten

Das Forscherteam untersucht die schaltbare Klebrigkeit von Grünalgen aus verschiedenen Gründen. Einerseits ist es allgemein interessant, das Phänomen der Haftung an Oberflächen zu verstehen, da die Haftkräfte der Zellen im Verhältnis zu ihrer Größe enorm sind. Zudem ist ihr Bauprinzip fast identisch mit den Flimmerhärchen im menschlichen Körper, wie sie beispielsweise in der Lunge vorkommen. Gelänge es, Oberflächen so zu designen, dass die Klebrigkeit ähnlich wie die der Mikroorganismen an- und ausgeschaltet werden kann, dann könnte dies für viele Anwendungen in der Medizin, der Biotechnologie und der Prozesstechnik von großem Interesse sein.

Referenzverzeichnis

(1) Christian Titus Kreis (Universität Göttingen) (2017) Dissertation: „Microalgal Adhesion to Model Substrates: A Quantitative in vivo Study on the Biological Mechanisms and Surface Forces”

(2) Christian Titus Kreis, Marine Le Blay, Christine Linne, Marcin Michal Makowski and Oliver Bäumchen „Adhesion of Chlamydomonas microalgae to surfaces is switchable by light”, Nature Physics 14, 45–49 (2018)

(3) Christian Titus Kreis (University of Toronto) (2020) Präsentation „Microalgal Adhesion to Model Substrates”, Peter Haasen Preis

Projektdetails

Dieser Blick in die Forschung basiert auf der Dissertation „Microalgal Adhesion to Model Substrates“ von Dr. Christian Titus Kreis, die am Göttinger Graduiertenzentrum für Neurowissenschaften, Biophysik und Molekulare Biowissenschaften (GGNB) erstellt wurde. Die Forschungsergebnisse wurden im September 2017 in der Zeitschrift Nature Physics veröffentlicht und im Januar 2020 mit dem Peter Haasen Preis ausgezeichnet. Der Preis wird für herausragende Doktorarbeiten im weiteren Bereich der Materialwissenschaften an der Universität Göttingen verliehen und ist mit 5000 Euro dotiert.

Für die Dissertation hat Dr. Kreis am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in der Forschungsgruppe „Dynamik fluider und biologischer Grenzflächen“ von Dr. Oliver Bäumchen geforscht. Dr. Bäumchen und sein Team befassen sich bereits seit mehreren Jahren mit den Hafteigenschaften von Mikroorganismen.

Ihr Kontakt

Dr. Oliver BäumchenMax-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
0 551 5176 260

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